Speed Dating

Gegen 00:30 hab ich mich dann auf den Holzsessel vis a vis vom F. gesetzt.
„So jetzt sind also wir zwei dran“, hat er gemeint. „Wie beim Speed Dating, gell?“, hab ich geantwortet. Wobei ich das Speed Dating Konzept erst hab erklären müssen. Das gibt es offenbar nicht in der Oststeiermark.

Dabei ist so ein Klassentreffen in Wahrheit einem Speed Dating eh nicht unähnlich. Verdichtet, komprimiert tauscht man sein Leben aus. Zumindest die Eckdaten. Das Klassentreffenquartett: Wohnsitz, Familienstand, Berufstätigkeit, Kinder. Wohnsitz, Familienstand, Berufstätigkeit der Kinder. Sofern schon ausser Haus. (Bei einem 25jährigen Maturatreffen wie gestern, durchaus auch schon möglich)
Man konzentriert sich auf die positiven Aspekte und für einen Abend lang scheint es, als wären alle Biografien einer gesamten Schulklasse linear, geradlinig und erfreulich verlaufen. Das ist schön. Die Statistik spricht natürlich gegen uns.
Ich mag auch die Themen Krankheiten, Schönheitsoperationen und nationale Verschwörungstheorien. Aber es waren keine Mediziner dabei gestern, logisch, ich war ja auf einer Handelsakademie. Da waren die Schwerpunkte eher Buchhaltung, Rechnungswesen oder Mathe.

Wenn die ersten Klassentreffen-Quartett Runden gespielt sind, stellt sie sich schnell wieder ein, diese alte Vertrautheit. Jeder findet auf seinen alten Platz im System zurück und kleidet seine Rolle aus. Gemeinsame Erinnerungen werden wach. Matura. Maturaball.
Man hört seinen eigenen Namen am Nebentisch. („sie hat mir mein rotes Leiberl angespieben“)
Sie besprechen wohl grad die Maturareise.
(„Dann ist sie einfach umgefallen“)
Ich bin ein bissi stolz und fühle mich nachträglich wild und verwegen. Auch wenn ich das nie war.

Der F. und ich wir schauen uns schon ein bissi müde an von den vielen Vorgesprächen. Wir eröffnen mit dem klassischen Spielzug „und was machst du jetzt?“. Und dann kann es aber plötzlich Schlag auf Schlag gehen, wenn man eine gemeinsame Leidenschaft entdeckt.
Bücher! F. ist jetzt Deutschlehrer und oh wie schön ich mir das vorstelle. Diese Leidenschaft fürs Lesen Jugendlichen beibringen zu dürfen. Herrndorf, Ranisch, Weiler, Zeh. Probier das! Les das mit deinen Schülern! Geheimtipp: Pistotnig!
Nur dass Jugendliche heute halt lieber YouTuber werden wollen…

Am Nebentisch fällt nochmal mein Name: „sie hat mir immer meine Mappen und Hefte vorne angemalt“, sagt mein Sitznachbar, der mir damals bei allen geholfen hat, wo Zahlen dabei waren. Jüngster Steuerberater des Landes. Mein Beitrag war halt ein eher künstlerischer.

Es ist schon spät. F. und ich reden begeistert über Bücher, Geschichten und auch Geschichte. Ich versuche mir die Tipps zu merken. Es scheint auch, als würde ihn mein Interesse an diesen Themen überraschen. Das war wohl nicht meine Klassenrolle damals.

In 5 Jahren treffen wir uns wieder. Da sind wir dann alle 50. Das erscheint mir völlig surreal. Aber es wird so sein.

F. bedankt sich zum Abschied bei mir für unser Gespräch mit einem großartigen Zitat:
„Die Freude überrascht einen oft dort, wo man sie am wenigsten erwartet!“

Danke euch allen für die schönen Erinnerungen & Geschichten!