Er ist plötzlich komisch geworden

Ende der 80er ist der Nachbar von meinem steirischen Ex-Freund plötzlich komisch geworden.
Er war ein paar Jahre älter als wir damals. Seine Familie hat vorher Teile der Landwirtschaft an die Südautobahn (A2) verkauft. Wo sie früher mit dem Miststreuer gefahren sind und ihre Felder gedüngt haben, sind dann die Wiener mit ihren Autos auf der neuen Autobahn herein- und die Pendler nach Wien hinausgefahren.
Ich war fast 16 und grad in meiner Bonnie Tyler Fan-Phase gut verankert. Holding out for a hero…

Der Nachbar vom Ex war dann plötzlich weg. Keiner hat mehr was gehört oder gesehen. Mitsamt dem Autobahngeld.
Ein Jahr später – ich war schon längst getrennt vom Ex, aber immer noch freundschaftlich verbunden – da ist plötzlich ein Auto bei den Eltern vom Nachbarn vom Ex eingefahren, dass so noch keiner gesehen hat. Woher auch, wir hatten damals nur FS1 und FS2 und den Ausblick auf die Südautobahn.

Das Auto war zuckerlrosa und so lang, dass es den kompletten Platz ausfüllen konnte, wo früher mal der Miststreuer gestanden ist.
Ausgestiegen sind lange, spitze Cowboy Stiefel mit dem Nachbarn drin. Er war seltsam verkleidet. Das Hemd war kariert und dazu hatte er braune Hosenträger. Die wären gar nicht notwendig gewesen, die Jeans war eh so eng, null Rutschgefahr. Seine Haare waren auf einmal nicht mehr braun, sondern pechschwarz, glänzend und seltsam aufgestellt. Vorne höher. Hinten flach. Das völlige Gegenteil vom damals noch späten Ausläufer der 80er Kult-Frise VoKuHiLa.
An den Fingern hatte er ganz viele dicke, silberne Ringe.

Weil bei uns jeder im Fasching als irgendwas gegangen ist, war nicht auszuschließen, dass er als Elvis Presley ging.
Er blieb aber auch am Aschermittwoch so. Und die restliche Fastenzeit. Und auch über die Osterfeiertage hinaus…

Dass er in „Wean“ sei, hat man gemunkelt. Rauschgift sei nicht auszuschließen. Vielleicht ein „Hascher“.

Ich war jugendlich fasziniert von diesem bunten Treiben. Wien hatte plötzlich eine neue Dimension für mich bekommen: Sie leben dort nicht nur in Gemeindebauten, mit Badewannen in der Küche, wie ich es vom Mundl-Fernsehen kannte, sondern sie verkleiden sich auch ganzjährig als Elvis Presley.
Das hat mir gefallen. Und die Vorstellung, dass dort Autos rosa sind.

Anfang der 90er, als ich dann selber schon in Wien war, hab ich gelernt, dass es da mehr so Elvis Menschen gibt. „Rockabilly“ haben sie gesagt zu denen und beim Schwarzenbergplatz, neben dem Atrium in dem Lokal waren ganz viele. Auch Mädchen!
Aus der Ferne hab ich das genau beobachtet. Ich, mit meiner gestreiften WU-Spiesser Bluse, der Schalkrawatte (!) und den Perlenohrringen.

Gestern Abend hab‘ ich den Nachbarn vom Ex wieder gesehen. Oder Einen, der so aussah wie er. Die Haare immer noch so aufgestellt, nur grau inzwischen.
Ich war am Konzert vom Shakin Stevens im Gasometer. Ganz viele von den Rockabillys waren dort. Hawaihemden, Lederjacken, Pettycoats in allen Altersgruppen. Manche Trends halten offenbar länger an als mein Schalkrawatten-Fetisch der 90er…

Was dann wie immer alle vereint, ist die Musik. Zu großartigen Hits wie „Oh Julie“ oder „You drive me crazy“ haben wir alle gemeinsam abgerockt. Nur leider mein Lieblingslied, „A rockin‘ good way“, hat gefehlt gestern. Dabei wäre ich jederzeit bereit gewesen den Duett Part von Bonnie Tyler zu übernehmen…