In einer alten Fabrikshalle, die sie bei uns längst nicht mehr öffnen dürften, fix würden da zahlreiche Behörden dagegen sprechen. Marktamt. Arbeitnehmerschutz. Überhaupt Lebensschutz, weil es sieht nicht so aus, als würde da nicht ab und zu ein Trum irgendwo runterfallen.
Von links weht der angenehme Duft von frischem Graffiti.
Von rechts eine Brise Holzlack aus der kleinen angeschlossenen Tischlerei.
Ganz oben auf einem braunen Einbauschrank aus den 60er Jahren steht ein altes Poster von Lenin.
Unten ist die ganze Fabrikshalle voll mit DDR Vintage Möbeln. Oder was weiss ich wie alt die sind. Vintage halt. So genau will das meine Generation eh nicht wissen. Hauptsache der Charme der eigenen Kindheit weht noch irgendwie wehmütig ums Leninbild. Bei uns daheim halt um die schwarz weiß Fotografie von Rudolf Kirchschläger.
In der Mitte auf einer alten speckigen beigebraunen Ledercouch sitzen 2 Typen. Mein Ex hatte Ende der 90er auch so eine braune Ledercouch daheim, weil das Haus von seiner Oma war. Die Oma war raus. Er war rein. Das war auch schon die einzige Veränderung die je an diesem Haus und seinen Inhalten stattgefunden hat. Hysterisch habe ich wochenlang helle Ikea Decken über die Couch geworfen. Wie kann man bitte nicht Ikea haben? Völlig verständnislos hab ich alles überworfen was nicht zu verändern war.
Der Typ auf der alten Couch wird um die 50 sein, oben hat er eine unfreiwillige Hipster Glatze, darunter einen freiwilligen Hipster Bart. Noch weiter darunter ein kleines Wamperl. Gesamterscheinung Gönnerhaft.
Als die knapp volljährige Begleitung die Szenerie betritt, tätschelt er dreimal mit der flachen Hand auf den freien Platz neben ihm. Sie setzt sich artig hin.
Dann streicht er mit dicken Wurstfingern über die fette Holzplatte, von dem Tisch vor ihm.
„Krass wie Holz auch von sich aus schön ist.“, sagt er wissend.
„Einfach so. Als Platte!“
Oida! Ich muss an meinen Opa denken, der immer in seinem Wald Holzarbeiten war.
Und was der Opa wohl zu so nem Gscheitling sagen würde. Nix vermutlich, oder er würden erzählen wie das war als die Russen gekommen sind. Und dabei würde er interessiert das Lenin Bild anschauen.
Und dann setzt er fort, der Herr Gönner mit seiner Welterklärung. Der nette Verkäufer, der auf Geschäfte hofft, lauscht ihm.
Die Nicht-Mehr-Minderjährige Begleitung, die auch auf irgendwas hofft, lauscht auch.
Und ich auch, weil ich immer lauschen muss.
„Die hocken da zwischen 30 und 60, wo man schon gut Kohle verdient und kommen nicht aus ihren Wohnungen raus. Aus Angst vor der nächsten Mieterhöhung.“, erklärt er.
„Weeste, Berlin war eenfoch schon over für mich! Oooooover.
Da ging nur mehr Leipzig. Leipzig is hot!“
Offenbar ist er aus dem Westen nach Leipzig gekommen.
Und dann muss ich dran denken, wie der Manfred unser Bootskapitän uns erzählt hat, dass sie nach der Wende alle gekommen sind aus dem Westen und alles aufgekauft haben. Die Häuser. Die Grundstücke. Alles. Goldgräberstimmung.
So wie ich damals mit dem Opa und der Oma nach Ungarn gefahren bin. Weil dort der Käse so billig war. Und der Frisör.
Und ist man einem anderen Steirer begegnet, hat man sich zugerufen wo es die billigsten Sachen gibt. Beim Heimfahren haben wir dann an der Grenze so tun müssen als hätten wir nicht Käse unterm Sitz. Und als hätten wir nicht frisch gemeschte Haare.
Kurz nach der Grenze haben wir beim ersten Parkplatz den Käse wieder rausgeholt, wegen dem Benzingeruch.
Am gleichen Parkplatz wo die Ungarn wiederum gerade ihre Elektrogeräte aus Österreich unterm Sitz versteckt haben. Und dann ist jeder wieder heim in sein Land.
So wie wir bald auch wieder Heimfahren in unser Land. Aber mit einem hat er recht gehabt, der Herr Gscheit: Leipzig ist hot!